Die Straßen Wiens, heißt es, sind nicht mit Steinen gepflastert, sondern mit Geschichte. Der Charme der Stadt besteht jedoch zu einem guten Teil darin, aus „Geschichte“ die „gute, alte Kaiserzeit“ zu machen. Und so kommt es, dass die junge und dynamische Metropole im Herzen Europas zwar mit unglaublicher Schubkraft ins High-Tech-Zeitalter durchstartet, gleichzeitig aber in inniger Umarmung mit ihrer Vergangenheit liegt: Das macht Wien zu einem Fest der Phantasie. Besonders für Romantiker.
„Im Prater blüh’n wieder die Bäume“: Dieser Satz ist um die Welt gegangen. Als Anfang eines berühmten Liedes und als Ausdruck eines speziellen Wiener Lebensgefühls. Sobald die Kastanienbäume ihre weißen und rosa Blüten-Kerzen in den Himmel recken, verändert sich die Stadt. Der Frühling ist gekommen, die romantischste Zeit in Wien. Die langen Amselrufe im Volksgarten, im Stadtpark und im Rathauspark verursachen bei den Spaziergängern ein merkwürdig sehnsuchtsvolles Ziehen in der Brust. Und der Duft von Jasmin und Flieder steigt in den Kopf wie anderswo ein Glas Champagner...
Die Kutscher lassen ihre Schnalzer im Frühling noch temperamentvoller erklingen als sonst. Wer jetzt in einen Fiaker steigt, ist bestens bedient. „Verehrung, der Herr, küss die Hand, schöne Frau!“, ein Peitschenknall, und los geht’s zu den Prachtbauten der Kaiserzeit. Von der Albertina zur Staatsoper, weiter unter dem zartgrünen Blätterdach der Ringstraßen-Allee. Trab, trab, trab: Rechts taucht der Burggarten mit dem prachtvoll renovierten Palmenhaus auf, dann kommen links die wuchtigen, kuppelgekrönten Gebäude von Kunsthistorischem und Naturhistorischem Museum. Dazwischen thront mächtig die absolutistische Urmutter des Barock, Kaiserin Maria Theresia: Ihr Denkmal schaut hinüber zu Hofburg und Heldenplatz.
Während die Hufe der Pferde klappern, streicht ein feines Mailüfterl über die Ringstraße. Es lässt die Gedanken im Dreiviertel-Takt tanzen, dreht das Rad der Zeit zurück, fegt ein ganzes Jahrhundert weg. Plötzlich steht vor dem Parlament eine Gruppe hitzköpfiger Studenten. Junge Leutnants in schneidiger Uniform reiten in Richtung Rathaus. Und da, beim Burgtheater, biegt eine Kutsche in Richtung Bankgasse ein. Darin sitzt eine schöne, verschleierte Dame – vielleicht auf dem Weg zu einem geheimen Rendezvous?
Der Fiaker biegt vom Ring in die Schottengasse ein, fährt am Schottenstift vorbei zur Freyung, dann über den Hof Richtung Stephansplatz. Hier ist wirklich jeder Stein Geschichte. Ein wenig Phantasie, und man sieht hinter den stolzen Fassaden der Palais Harrach, Schönborn-Batthyány, Daun-Kinsky oder Ferstel einstige Fürsten die Fäden der Politik ziehen. Oder man hört mondäne Equipagen mit Gästen aus aller Herren Länder vorfahren und abends, bei eleganten Soiréen und Bällen, die seidenen Roben der schönen Damen knistern. Schließlich hat die Wiener Balltradition eine lange Geschichte.
In den Scheiben des von Architekt Hans Hollein geplanten Haas-Hauses am Stephansplatz, einer modernen Einkaufs-Galerie, spiegelt sich die wuchtige Fassade des Stephansdoms: Vergangenheit und Gegenwart gehen in Wien oft Hand in Hand, wie ein Spaziergang durch die Altstadt beweist. Eine gepflegte Tasse Tee bei Haas & Haas im Haus Stephansplatz 4 zum Beispiel bedeutet eine kleine Zeitreise: Man sitzt in einem biedermeierlich anmutenden Garten im Hof, ist von den alten, dicken Mauern des Hauses des Deutschen Ordens umgeben und bekommt als Rechnung einen digital erstellten Ausdruck.
Überquert man diesen Innenhof, gelangt man in die Singerstraße, dann in die Blutgasse und in die Domgasse. Diese Gässchen sind das romantische Herz der Stadt. Sie sind eng und dunkel und wie vor Jahrhunderten mit Kopfsteinpflaster belegt. Irgendwie erwartet man jeden Moment, Mozart auf dem Heimweg ins Figarohaus um eine Ecke biegen zu sehen, der „Ein Mädchen oder Weibchen, wünscht Papageno sich“ pfeift.
Die Gefahr, im Geäder dieser Gassen verloren zu gehen, besteht nicht. Irgendwie kommt man immer wieder zum Stephansplatz zurück und spaziert in eine andere Richtung weiter: durch die Passage des Erzbischöflichen Palais zur Wollzeile, anschließend durch jene mit dem Figlmüller (dem Beisl mit den größten Wienerschnitzeln) zur Bäckerstraße. Man wirft einen Blick in den arkadengeschmückten Innenhof des Hauses Schwanenfeld auf Nr. 7 und einen in den kleinen Innenhof des Hauses Nr. 12 mit seinen mittelalterlichen Mauerteilen. Weiter geht’s zur Akademie der Wissenschaften und zur strengen, schönen Jesuitenkirche, dann in die Sonnenfelsgasse mit der Alten Universität und in die Schönlaterngasse: alles Gässchen, in denen die Zeit stehen geblieben zu sein scheint. Und in denen man sicher sein kann, auf den Spuren von Berühmtheiten wie Haydn, Beethoven und Clara und Robert Schumann zu wandeln.
Sie haben vielleicht auch die Ruhe und Stille des Heiligenkreuzerhofs genossen, in den man von der Schönlaterngasse aus gelangt, die Genies von damals. Das im 17. Jahrhundert entstandene Ensemble um einen weiten Hof ist von zeitloser Schönheit. Helmut Qualtinger, Österreichs großer Satiriker, hat hier gewohnt.
Vom Heiligenkreuzerhof sind es nur ein paar Schritte zum Fleischmarkt. Seine Umgebung war lange der bunteste und lauteste Teil Wiens. Hier boten türkische Händler in Pluderhosen und Fes Seide aus dem Orient, Gewürze, Kaffee und Tabak feil. Später kamen die Griechen, die ihre Heimat unter der türkischen Besatzung verlassen hatten und trieben ebenfalls Handel. Das Griechenbeisl, die reich mit Gold verzierte griechische Kirche und die entzückende Griechengasse mit ihren Schwibbögen und mittelalterlichen Fassaden erinnern an sie.
Noch nicht genug von engen Gässchen, altem Gemäuer und dem Hauch der Vergangenheit? Dann rasch über die Ringstraße und zum Spittelberg. Dieses Viertel lag einst außerhalb der Stadt und war alles andere als vornehm. Eine Spelunke reihte sich an die andere, der Wein floss in Strömen, die Sitten waren rauh und so manche Dame war gar keine Dame, sondern nahm Geld für bestimmte Dienste. Dieses Viertel wurde in den späten 70er-Jahren des 20. Jahrhunderts mustergültig revitalisiert: Jetzt ist es auch moralisch einwandfrei, man kann zwischen den Biedermeierhäusern flanieren und in eines der vielen Lokale einkehren.
In den Wochen vor Weihnachten durchzieht ein feiner Duft von Punsch und Lebkuchen den Spittelberg. Dann gibt es hier einen beliebten Christkindlmarkt, der zwar weniger groß ist als der vor dem Rathaus, aber mit geschmackvollem Kunsthandwerk lockt.
Dass Wien im Frühling am schönsten ist, stimmt natürlich. Aber nur, wenn man von Sommer, Herbst und Winter absieht. Denn so viel ist sicher: Wien ist eine Stadt für jede Jahreszeit. Das hängt damit zusammen, dass die Natur in vielen Bezirken weit in die Stadt hinein reicht. Etwa der Prater: Noch um die Jahrhundertwende, zur Zeit Schnitzlers, waren Praterpartien ein gesellschaftliches Ereignis. An Sonntagen fuhren viele Kutschen von der Altstadt durch die Praterstraße, die ehemalige Jägerstraße, in den Prater. Heute gehört der Prater am Morgen den Joggern. Später kommen die Reiter, dann die Spaziergänger, die Ausflügler und die Wiener, die ein Picknick machen möchten. Und manche, die zu jeder Jahreszeit die immer wieder neuen Gesichter des Praters genießen wollen: den Morgennebel und das Maiengrün, das dichte Laub und die schweren Gewittertropfen, die Farborgie des Herbstes und den Altweibersommer, schließlich den Raureif und die pittoresk in die Luft gereckten kahlen Äste.
Das Lusthaus im Prater ist ein Lokal mit altösterreichischem Charme. Ende des 18. Jahrhunderts als Jagdschlösschen erbaut, ist es heute ein reizendes Café-Restaurant. Eines mit Vergangenheit allerdings. Denn dass dies immer ein Ort für verbotene Stelldicheins war oder für die Übergabe geheimer Botschaften wie „Liebster, heute nicht... morgen, nach Einbruch der Dunkelheit...“ sieht man dem Gebäude an der Nasenspitze an. Und schließlich: Nach einem geeigneten Platz für ein Duell musste man hier auch nicht lange suchen.
Der Wienerwald, der grüne Gürtel der Stadt, begrenzt Wien vom Norden über den Westen bis in den Süden. Dieses 1250 Quadratkilometer große Labsal für die Seele der Wiener ist durchzogen von kilometerlangen Wander- und Spazierwegen und lädt ein zur Rast auf Lagerwiesen und in Ausflugslokalen wie im Häuserl am Roa oder im Häuserl am Stoa. Seit der Biedermeierzeit dient der Wienerwald als bukolisches Idyll – die in Rinden der Bäume und in Lehnen der Bankerln eingeritzten Herzen und Pfeile gehen in die Tausende: Ferdi liebt Mitzi.
Die klassische Art, einen Ausflug in den Wienerwald zu beschließen, ist der Besuch eines Heurigen. Der Heurige ist der Wein der letzten Ernte und auch das Lokal, wo er ausgeschenkt wird. „Geh‘ ma zum Heurigen“ – in Grinzing, Neustift, Nussdorf oder Salmannsdorf – ist die Garantie für Gemütlichkeit. Zur Romantik trägt die Heurigenmusik bei und zu vorgerückter Stunde kann es vorkommen, dass ein ganzes Lokal „Es wird a Wein sein, und mir wern nimmer sein...“ singt. Ein bisschen Wehmut gehört zu einer gefühlsbetonten Stadt wie Wien halt dazu...
Und wenn schon nicht Wehmut, dann Nostalgie. Im Salettl, dem kleinen Café im 19. Bezirk, kann man sie besonders gut spüren. Glasveranda, einfache Tische und Sessel, Flair der Jahrhundertwende: Das schätzen vor allem junge Wiener. Die Villa Aurora nahe dem Schloss Wilhelminenberg im 16. Bezirk hat ebenfalls Fin-de-siècle-Feeling bei Kerzenlicht zu bieten. Man bestellt ein Wiener Schnitzel mit Salat, bekommt aber einen Mohren im Hemd, der am Nebentisch geordert wurde. Man tauscht, kommt ins Gespräch, rückt zusammen, schaut sich in die Augen, verliebt sich. So etwas kann schnell gehen in Wien.
Für die Folgen weiß die Stadt Rat. An den attraktivsten Orten Wiens kann man sich trauen lassen: im Schloss Schönbrunn, im Riesenrad, in der Oldtimer-Straßenbahn oder im Schmetterlinghaus. Dass ein so romantisch geschlossener Bund lange hält, ist wahrscheinlich. Schließlich umarmt sich das Liebespaar auf Gustav Klimts berühmtem Gemälde „Der Kuss“ ja auch schon seit hundert Jahren in unveränderter Leidenschaft...
Mit freundlicher Unterstützung des Wiener Tourismusverband