Wien

Das Wiener Kaffeehaus

Melange, Buchteln und Literatur: das Wiener Kaffeehaus

Für Wien-Besucher ist es eine Attraktion, für Anrainer ein zweites Wohnzimmer, für Künstler und Literaten eine Institution: das Wiener Kaffeehaus.

„Auf der ersten Silbe betont, bezeichnet Kaffee ein Getränk, auf der zweiten betont, bedeuten Café und Kaffeehaus in Wien und Österreich eine Lebensform“, schrieb Hans Weigel 1978. Dieser Satz hat mit Sicherheit bis heute Gültigkeit: Es gibt in Wien mehr als 800 Kaffeehäuser, nicht mitgezählt die zahlreichen Café-Bars, Café-Restaurants und Pizza-Cafés. Darunter befinden sich ungefähr 100 klassische Kaffeehäuser, wo die Bedienung noch schwarz-weiß trägt und die Einrichtung so einfach ist wie in der „guten, alten Zeit“: Holzboden, Marmortische, simple Sessel und plüschige Bänke.

Jede „Szene“ hat in der Donaumetropole ihr Stammcafé: die Beamten der Ministerien etwa das Café Ministerium am Georg-Coch-Platz, die Kunst-Studenten das Prückel am Stubenring, die Politiker das Landtmann am Dr.-Karl-Lueger-Ring. Im Kaffeehaus wird philosophiert, meditiert, tachiniert, Zeitung gelesen, getratscht, geknutscht, Billard oder Schach gespielt, mit Fremden über Gott und die Welt diskutiert und vieles mehr. Ja, und natürlich auch Kaffee und Kuchen genossen.

Wien wäre eben „eine zum Mittelmeer gewendete, ursprünglich römische Stadt“, erklärte der große Romancier Heimito von Doderer 1960. Deshalb fände man in den Wiener Cafés auch „jene meditative Stille und das zweckfreie Vergehen lassen der Zeit, das jeder kennt, der ein orientalisches, ein türkisches Café besucht hat.“

Tradition und Trubel

In den beliebtesten Kaffeehäusern der Stadt merkt man davon allerdings weniger. Zum Beispiel im Café Central in der Herrengasse und im Griensteidl am Michaelerplatz. Das ehemalige Literatencafé Griensteidl, seit 1990 in einem neuen Haus am alten Platz wiedereröffnet, liegt exakt an der touristischen Pilgermeile Hofburg-Kohlmarkt-Graben-Stephansplatz. Es ist für Wien-Besucher der am meisten geeignete Ort, um müde Füße auszustrecken und sich mit heißem Kaffee wieder auf Touren zu bringen.

Das Café Central – seine große Säulenhalle wurde 1986 aufwendig wiederhergestellt – findet man nur 100 Meter weiter Richtung Uni bzw. Votivkirche. Beide Lokale blicken auf eine lange Tradition zurück. Speziell die Atmosphäre des „alten“ Griensteidl ist legendär: Sieben intensive Jahre, von 1890 bis 1897, war das Café im ehemaligen Palais Dietrichstein Wiens bedeutendste kulturelle „Institution“. Kaum ein namhafter Schriftsteller, Schauspieler, Kritiker, Architekt oder Musiker des Fin de Siècle, der nicht hierher kam. Die bedeutendsten Vordenker der Wiener Moderne gruppierten sich hier fast vollständig um die kleinen Marmortischchen: Hermann Bahr, Arthur Schnitzler, Hugo von Hofmannsthal, Karl Kraus, Hugo Wolf, Fritz Kreisler, Arnold Schönberg und viele andere. Ein „verdichtetes System von Energiekreisen“, schrieb Edward Timms, von dem „erstaunliche schöpferische Energie“ ausging. 1897 fiel das Griensteidl – wie auch die Basteien und zahlreiche Gebäude am Graben und am Neuen Markt – der Spitzhacke zum Opfer. Halb nostalgisch, halb ironisch klagte Karl Kraus in „Die demolierte Literatur“: „Unsere Literatur sieht einer Periode der Obdachlosigkeit entgegen, der Faden der dichterischen Produktion wird grausam abgeschnitten.“ Zum Glück existierten andere Cafés weiter. Die Stammgäste des Griensteidl übersiedelten ins Café Central.

Gutes Benehmen am Stammtisch

Auch heute noch sitzt der Dichter Peter Altenberg als Pappmaché-Figur im Café Central in der Herrengasse. Dort hatte der schrullige Lebenskünstler im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts seine Postadresse und seinen Stammtisch, an dem sich u. a. einer der bedeutendsten Architekten der Moderne, Adolf Loos, seine Frau Lina, der Schauspieler und Essayist Egon Friedell sowie der Schriftsteller Alfred Polgar einfanden.

Altenberg, dessen kurze Prosatexte und Skizzen Egon Friedell einmal „tausend fächerige Magazine voll kleiner und kleinster Beobachtungen“ nannte, stellte für seinen Stammtisch sogar – nicht ganz ernst gemeinte – Verhaltensregeln auf. So zum Beispiel auch diese: „Das Nägelschneiden bei Tische ist verboten, selbst mit einer eigenen mitgebrachten Schere alten Systems; besonders aber mit der neuartigen Zwickmaschine, da die scharf abgezwickten Nägel dann leicht in die Biergläser springen können, und das Herausfischen mit Schwierigkeiten verbunden ist.“ An eben diesem Tisch hat die 20jährige Caroline Obertimpfler (Künstlername Lina Loos) – so will es die Legende – dem 12 Jahre älteren Adolf Loos ihr spontanes Ja-Wort gegeben. Lina selbst hielt später in ihrem berühmten „Buch ohne Titel“ der Generation der Jahrhundertwende in unterhaltsamen Feuilletons, Skizzen und Erinnerungen einen Spiegel vor.

Heute ist die Stimmung im Café Central eine geschäftliche, gutbürgerlich, gepflegt: Unter der Woche dominieren die Geschäftsleute der umliegenden Banken das Bild. Am Wochenende umringen Wien-Besucher, Hofratswitwen und pensionierte Kommerzialräte den Pappdichter und lauschen andächtig dem Klavierspiel.

Ein Nackter und selbstverständliche Täuschungen

Ebenfalls im ersten Bezirk befindet sich das Café Hawelka. Seine Beliebtheit und sein „Künstlerimage“ gehen auf die Nachkriegszeit zurück: Hans Weigel, selbst Schriftsteller, Talente-Förderer und kulturelle Institution, erkor damals das kleine Kaffeehaus von Leopold und Josefine Hawelka zu seinem Zweitwohnzimmer. Der Grund: Es hatte bis nach Mitternacht geöffnet.

Weigels Vorbild folgten bald andere Schriftsteller, Künstler und Intellektuelle – „nach dem Naturgesetz des Schneeballs oder der Lawine“ (Weigel). Das Hawelka avancierte in den 1950er und 60er Jahren zur Wohngemeinschaft der antibürgerlichen Künstleropposition. Es war öffentliches Wohnzimmer für Individualisten, außerdem Ideenbörse und Insel des Unkonventionellen. Kein Wunder, dass Georg Danzer in seinem Song „Jö, schau“ seinen Nackten, über den sich keiner wirklich wundert, im Hawelka auftreten ließ.

Zahlreiche Literaten hatten hier ihren Stammtisch. Vor allem die Wiener Gruppe – H.C. Artmann, Konrad Bayer, Gerhard Rühm und Oswald Wiener – verbrachten hier so manche Nacht. Als einen Ort, ohne den „vieles ungetan, ungesprochen und gar nicht erdacht worden wäre“, sah Artmann das kleine, stets verrauchte Lokal in der Dorotheergasse, in dem sich zum Beispiel auch noch der große Romancier Heimito von Doderer recht wohl gefühlt hatte.

André Heller kam mit 14 Jahren zum ersten Mal hierher und passte sich, so schrieb er 1982, sogleich der Atmosphäre an: Er fabulierte und flunkerte, was das Zeug hielt – von Schriftstellerei und großen Reisen. Und man glaubte ihm. „Später hatte ich oft das Gefühl“, so Heller, „dass diese ersten Minuten meiner Bekanntschaft mit dem Buchtelolymp bereits alle wesentlichen Zutaten künftiger Hawelkanischer Nächte enthielten: das Geschichtenerzählen, den Selbstbetrug, die Erinnerungssüchtigkeit, das Kritisieren, das Stilisieren. Die Dorotheergasse 6 beherbergt ebenerdig hauptsächlich Leute, die nicht gehalten haben, was sie sich von sich selbst versprachen. [...] Beim gütigen Ober gilt man allerdings als das, was man beinahe geworden wäre. Ihm sind Schein und Sein eins – und er kann sich seine Gäste als Bewohner der wirklichen, undunstigen Welt ebenso wenig vorstellen wie jene sich ihn ohne Smoking und speckiges Mascherl.“

Dunstig ist es im Hawelka auch heute noch, doch das Publikum hat sich verändert: An den kleinen Tischen sitzen Schüler, Studenten und Touristen. Die Atmosphäre zwischen den dicken Plakatschichten an den Wänden, der Telefonzelle und den abgewetzten Plüschbänken ist dennoch einmalig. Und die heißen, frischen Buchteln um 22 Uhr sollte man nicht verpassen.

Nicht daheim und doch zu Hause

Nach dem großen Kaffeehaussterben der 60er und 70er Jahre wurden in den darauf folgenden 20 Jahren zahlreiche Cafés im alten Stil restauriert, darunter so bekannte wie das Schwarzenberg am Kärntner Ring oder das Landtmann. Manches andere Altwiener Café fand sich plötzlich als coole, postmoderne Espresso-Bar wieder, zur Freude der jungen Leute und Szenegänger.

Die Kaffeehäuser mögen sich verändert haben, aber die Gründe, sie zu besuchen, sind die gleichen geblieben. Noch immer ist das Café, wie Stefan Zweig in „Die Welt von gestern“ schrieb, „eine Art demokratischer, jedem für eine billige Schale Kaffee zugänglicher Klub, wo jeder Gast für diesen kleinen Obolus stundenlang sitzen, diskutieren, schreiben, Karten spielen, seine Post empfangen und vor allem eine unbegrenzte Zahl von Zeitungen und Zeitschriften konsumieren kann.“ Nicht daheim, und doch zu Hause kann man sich hier fühlen. Oder: allein, und doch in Gesellschaft.

Thomas Bernhard hat seine Liebe zum Kaffeehaus in „Wittgensteins Neffe“ auf seine unvergleichliche Art beschrieben: „Das typische Wiener Café, das in der ganzen Welt berühmt ist, habe ich immer gehasst, weil alles in ihm gegen mich ist. Andererseits fühlte ich mich jahrzehntelang, gerade im Bräunerhof, das immer ganz gegen mich gewesen ist (wie das Hawelka), wie zu Hause, wie im Café Museum, wie in anderen Kaffeehäusern von Wien.“

Wo der Kaffee am besten schmeckt

Bellaria
Jugendstil-Café
1010 Wien, Bellariastrasse 6, Tel. +43-1-523 53 20, www.cafebellaria.at
Mo – Fr 7.30 – 24 Uhr, Sa 10 – 24 Uhr

Bräunerhof
Thomas Bernhards Stammcafé hat immer noch Stil.
1010 Wien, Stallburggasse 2, Tel. +43-1-512 38 93, www.braeunerhof.at
Mo – Fr 8 – 21 Uhr, Sa 8 – 19 Uhr, So & Ftg 10 – 19 Uhr

Central
Tradition, neu belebt.
1010 Wien, Herrengasse 14, Tel. +43-1-533 37 63–61, www.palaisevents.at
tgl. 7.30 – 22 Uhr

Diglas
Ein gutes, altes Kaffeehaus, wie es im Buche steht.
1010 Wien, Wollzeile 10, Tel. +43-1-512 57 65, www.diglas.at
tgl. 7 – 24 Uhr

Dommayer
Hietzinger Eleganz.
1130 Wien, Auhofstraße 2, Tel. +43-1-877 54 65, www.dommayer.at
tgl. 7 – 22 Uhr

Griensteidl
Große Vergangenheit in geographisch günstiger Lage.
1010 Wien, Michaelerplatz 2, Tel. +43-1-535 26 92
tgl 8.00 – 23.30 Uhr

Hawelka
Nach wie vor verrauchtes Künstlerlokal, wunderbar schäbig. Buchteln!
1010 Wien, Dorotheergasse 6, Tel. +43-1-512 82 30, www.hawelka.at
Mo, Mi – Sa  8 – 2 Uhr, So & Ftg 10 – 2 Uhr

Hofburg
Großes Café in imperialer Umgebung.
1010 Wien, Hofburg / Innerer Burghof, Tel. +43-1-241 00-420, www.cafe-wien.at
tgl. 10 – 18 Uhr

Hummel
Weiträumiger Treffpunkt, praktisch und originell.
1080 Wien, Josefstädter Straße 66, Tel. +43-1-405 53 14, www.cafehummel.at
Mo – Sa 7 – 24 Uhr, So & Ftg 8 – 24 Uhr

Landtmann
Politiker und Künstler sind Stammgäste im Haus neben dem Burgtheater.
1010 Wien, Dr.-Karl-Lueger-Ring 4, Tel. +43-1-24 100-111, www.cafe-wien.at
tgl 7.30 – 24 Uhr

Mozart
Spiegelnder Glanz.
1010 Wien, Albertinaplatz 2, Tel. +43-1-24 100-211, www.cafe-wien.at
tgl 8 – 24 Uhr

Museum
Traditionscafé – 1899 von Adolf Loos eingerichtet.
1010 Wien, Operngasse 7, Tel. +43-1-586 52 02, www.cafe-museum.at
Mo – Sa 8 – 24 Uhr, So & Ftg 10 – 24 Uhr

Prückel
Ringstrassen-Café mit 50er Jahre Interieur.
1010 Wien, Stubenring 24, Tel. +43-1-512 43 39, www.prueckel.at
tgl. 8.30 – 22 Uhr

Residenz
Im Schloß Schönbrunn. Apfelstrudelshow in der Hofbackstube.
1130 Wien, Schloß Schönbrunn /Kavalierstrakt, Tel. +43-1-241 00-310, www.cafe-wien.at
tgl. 9 – 20 Uhr

Ritter
Oase in der Mariahilfer Straße.
1060 Wien, Mariahilfer Straße 73, Tel. +43-1-587 82 38, www.cafe-ritter.at
tgl 7.30 – 23.30 Uhr

Sacher
Eleganz pur.
1010 Wien, Philharmonikerstraße 4, Tel. +43-1-514 56-661, www.sacher.com
tgl. 8 – 23.30 Uhr

Schottenring
Aktuell und klassisch zugleich.
1010 Wien, Schottenring 19, Tel. +43-1-315 33 43-13, www.cafe-schottenring.at
Mo – Fr 6.30 – 23 Uhr, Sa, So & Ftg. 8 – 21 Uhr

Schwarzenberg
Wiens erstes Ringstrassen-Café.
1010 Wien, Kärntner Ring 17, Tel. +43-1-512 89 98, www.cafe-schwarzenberg.at
So – Fr 7 – 24 Uhr, Sa 9 – 24 Uhr

Sperl
Viel gerühmt und oft ausgezeichnet, Kaffeehausromantik im schönsten Sinn.
1060 Wien, Gumpendorfer Straße 11, Tel. +43-1-586 41 58, www.cafesperl.at
Mo – Sa 7–23 Uhr, So & Ftg 11 – 20 Uhr; Juli & Aug. So geschlossen

Tirolerhof
City-Reservat.
1010 Wien, Führichgasse 8, Tel. +43-1-512 78 33
Mo – Sa 7 – 22 Uhr, So & Ftg 9.30 – 20 Uhr

Weimar bei der Volksoper
Ein Treff für Publikum und Künstler der Volksoper.
1090 Wien, Währinger Straße 68, Tel. +43-1-317 12 06, www.cafeweimar.at
Mo – Sa 7.30 – 24 Uhr, So & Ftg 9 – 24 Uhr

Wiener Kaffeespezialitäten

Mokka
(kleiner) schwarzer Kaffee, stark, ohne Milch

Melange
leicht verlängerter Mokka, mit warmer Milch und Milchschaumhaube

Cappuccino
starker Kaffee mit viel Milch, mit einer Haube aus geschäumter Milch und Schokostreuseln

Kapuziner
(großer) schwarzer Kaffee mit einem Schuss Milch

Franziskaner
(lichte) Melange mit Schlagobershaube

Einspänner
Mokka im Glas, mit Schlagobers

Fiaker
Mokka im Glas mit einem Schuss Rum

Türkischer
ein auf türkische Art, also ungefiltert zubereiteter Mokka

Mit freundlicher Unterstützung des Wiener Tourismusverband


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